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Netzfragen: Deutschland darf „bei der Digitalisierung nicht den Anschluss verlieren“

Netzfragen: Deutschland darf „bei der Digitalisierung nicht den Anschluss verlieren“

In Deutschland sind Mobilfunk-Tarife mit großem Datenvolumen mau. Vor allem in Sachen Breitbandausbau rangiert das sechstgrößte Land Europas im hinteren Drittel. Gemeinsam mit Dirk Grewe von Telefónica erörtern wir im Interview, wie sich die Politik besser engagieren kann, welche Vorteile 5G gegenüber dem bisherigen Mobilfunkstandard verspricht und für wen diese nützlich sind. Zudem klären wir die Frage, ob Telefónica nach Vorstoß von StreamOn und Vodafone Pass möglicherweise eine ähnliche Option in petto hat und weshalb sich der Anbieter als „Schrittmacher der mobilen Freiheit“ sieht.

Dirk Grewe leitet seit dem Zusammenschluss von Telefónica Deutschland und E-Plus im Jahr 2014 die Regulierungsabteilung des fusionierten Unternehmens. Zuvor war Herr Grewe in gleicher Funktion bei E-Plus. In weiteren beruflichen Stationen war er als Referent in der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission und als General Counsel beim Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) tätig. Im Gespräch lenkt Dirk Grewe auf das Angebot von o2 Free und weshalb eine flächendeckende 5G-Versorung nach seiner Einschätzung möglicherweise gar nicht nötig ist. Ein Interview von Roman van Genabith und Moritz Krauß.

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Dirk Grewe

Telefónica als „Schrittmacher der mobilen Freiheit“

TechnikSurfer: Wenn es um die Netzneutralität geht, fangen Experten oft zu Streiten an. Wie steht Telefónica dem Zwei-Klassen-Netz gegenüber?

Grewe: Telefónica Deutschland teilt ausdrücklich das Ziel der EU Verordnung von April 2016, den Zugang zum freien Internet nach dem Best Effort Prinzip zu schützen, also mit der bestmöglichen Übertragung. Die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung, freie Selbstentfaltung und Berufsfreiheit dürfen im Netz nicht eingeschränkt werden. Die EU-Regulierung zur Netzneutralität ermöglicht explizit, dass neben diesem Best Effort Zugang auch unter bestimmten Voraussetzungen Qualitätsgarantien für bestimmte Dienste möglich sind. Diese Klarheit und Rechtssicherheit begrüßen wir.

TechnikSurfer: Was halten Sie von Angeboten à la StreamOn und Vodafone Pass?

Grewe: Ich halte vor allem sehr viel von unserem Produkt o2 Free. Mit den extra-großen Datenpaketen von bis zu 25 GB, die wir im September 2017 als erster Anbieter in Deutschland eingeführt haben, ist Telefónica Deutschland hierzulande der Schrittmacher der mobilen Freiheit. Wir bieten mit o2 Free faire Preise und eine unlimitierte Weitersurf-Garantie. Selbst nach Verbrauch ihres inklusiven Datenvolumens surfen unsere Kunden auf 3G mit Geschwindigkeiten von bis zu 1 Mbit/s weiter und haben dabei die freie Wahl zwischen Anbietern und Anwendungen.

TechnikSurfer: Waren Sie überrascht, als Sie die Entscheidung der Bundesnetzagentur gelesen haben?

Telefónica kommentiert keine Fragen zu Produkten zu Wettbewerbern.

TechnikSurfer: Auch wenn Sie das Datenvolumen zwar derzeit bei Streaming wie gewohnt anrechnen, verschonen Sie das Highspeed-Volumen bei der „WhatsApp SIM“. Hat Telefónica damals bei der Einführung eine Regulierung durch die Bundesnetzagentur befürchtet und sehen Sie in ZeroRating-Angeboten einen Angriff auf die Netzneutralität?

Grewe: Wir können nur für unsere eigenen Produkte sprechen und nach welchen Vorgaben wir sie entwickeln. Und hier gilt, wie bereits erklärt: Telefónica Deutschland teilt ausdrücklich das Ziel der EU Verordnung von April 2016, den Zugang zum freien Internet nach dem Best Effort Prinzip zu schützen und Qualitätsgarantien für bestimmte Dienste nur unter bestimmten Voraussetzungen zu ermöglichen.

TechnikSurfer: Wie erklärt sich die Entscheidung von Telefónica noch kein eigenes ZeroRating-Angebot vorgestellt zu haben?

Grewe: Wir haben mit o2 Free für unsere Kunden ein sehr attraktives Angebot entwickelt, bei dem sie von einer nahezu unbegrenzten mobilen Datennutzung profitieren. Denn sind die extra-großen Datenpakete doch einmal aufgebraucht, reicht 1 Mbit/s noch bei den mobilen Alltags-Anwendungen. O2 Free kommt bei den Kunden sehr gut an. Das spricht für sich und zeigt, dass wir damit das Kundenbedürfnis getroffen haben.

TechnikSurfer: Glauben Sie, dass Deutschland sich mit Tarifoptionen wie StreamOn wieder weiter von echten Flatrates entfernt, also Tarifen ohne Datendrosselung? Schließlich gibt es solche Tarife in anderen Ländern schon lange, während wir noch immer fast 200 Euro im Monat bezahlen müssen.

Telefónica möchte nicht weiter auf die Frage eingehen.

Ausbaupläne von 5G spielen noch keine Rolle

TechnikSurfer: Teilen Sie Verkehrsminister Dobrindt’s Meinung, Deutschland könnte bereits nächstes Jahr flächendeckend mit 50 Mbit/s versorgt werden?

Grewe: Die Breitbandstrategie der Bundesregierung verfolgt das Ziel, bis Ende 2018 jedem Menschen in Deutschland Zugang zu 50 Mbit/s zu ermöglichen – egal mit welcher Technologie. Wir sehen, dass es im Festnetz und vor allem durch den Ausbau von LTE große Erfolge auf dem Weg zu dieser Zielerreichung gibt. Dies ist jedoch sicherlich nur ein Zwischenschritt hin zu Gigabit-Netzen in Deutschland. Um den Netzausbau in Deutschland weiter zu beschleunigen, braucht es ein stärkeres Engagement der Politik für investitionsfreundlichere Bedingungen.

TechnikSurfer: An welche Bedingungen denken Sie, die angepasst werden müssten?

Grewe: Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel: Wir brauchen Alternativen für überteuerte Frequenzauktionen, die gewährleisten, dass die Investitionen in die Netze fließen und nicht in ein Stück Papier für die Frequenznutzung. Mit den Ende 2020 beziehungsweise Ende 2021 auslaufenden Frequenzen haben wir jetzt die Chance, die Weichen für die digitale Gesellschaft neu zu stellen. Konkret sprechen wir uns für einen Beauty Contest aus, also für einen Wettbewerb um die besten Konzepte, anstatt um das höchste Gebot. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass teure Frequenzauktionen im internationalen Vergleich zu schlechteren Netzen geführt haben. Länder wie Schweden und Dänemark, die geringe Frequenzlizenzkosten aufweisen, haben heute die beste Mobilfunkabdeckung und –qualität in Europa. Deutschland rangiert im hinteren Drittel. Das muss sich ändern.

TechnikSurfer: „Es spielt doch keine Rolle, ob ich 50-, 100- oder 200 MBit/s ausbaue, es ist eh bald zu wenig“, meint Manuel Höferlin (FDP) in unseren Netzfragen. Beziehen Sie dazu Stellung.

Grewe: So pauschal kann man das nicht sagen. Die erforderliche Bandbreite hängt ja von der Nachfrage nach den jeweiligen Diensten ab. Für alle heute denkbaren Anwendungen inklusive dem datenintensiven Video-Streaming wird auch künftig LTE vollkommen ausreichen und schnelles Internet garantierten. Der nächste Technologieschritt im Mobilfunk heißt 5G und wird im kommenden Jahrzehnt vor allem im Internet der Dinge eine große Rolle spielen, wenn es um anspruchsvolle Datendienste geht, die beispielsweise eine extrem kurze Latenzzeit benötigen. Für den Consumer- und Enterprise-Bereich könnte auch die Überbrückung der so genannten letzten Meile in diejenigen Haushalte und Gebäude interessant werden, in die eine Verlegung von Glasfaser unwirtschaftlich oder baulich nicht möglich wäre. Das liegt allerdings noch einige Jahre in der Zukunft.

TechnikSurfer: Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, um Haushalte mit schnellerem Internet zu versorgen – Kabel, DSL, Glasfaser. Worauf müsste in Zukunft verstärkt gesetzt werden?

Grewe: Als nach Kundenzahl größter Mobilfunkanbieter konzentrieren wir uns auf die Mobilfunkinfrastruktur. Wir wollen unseren Kunden die mobile Freiheit ermöglichen und ihnen dafür mobiles Breitband in der Fläche mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bieten. Glasfaser ist in diesem Kontext sehr wichtig, weil sich darüber Mobilfunkstationen anbinden lassen, um perspektivisch hohe Datenmengen abzutransportieren. Grundsätzlich muss die Politik beim Thema Telekommunikationsinfrastruktur verstehen, dass die Anbieter den Breitbandausbau größtenteils mit privaten Investitionen stemmen können. Dass ihnen dabei aber keine Steine in den Weg gelegt werden dürfen wie hohe Frequenzkosten, zu strenge Versorgungsauflagen oder innovationsfeindliche Regulierungsmaßnahmen.

TechnikSurfer: Würde sich Telefónica über Ausbau-Cluster, wie es sie beispielsweise in ähnlicher Form beim VDSL-Ausbau gegeben hat, freuen und daran beteiligen?

Grewe: Ausbaucluster für kabelgebundene Infrastruktur betrifft die Unternehmen, die Festnetz ausbauen. Daher ist dies nicht unser Thema. Wir bauen rein eigenwirtschaftlich finanzierte Infrastruktur für Mobilfunk.

TechnikSurfer: Sie haben vergangenes Jahr den Vorstoß gewagt und eine Infrastrukturgesellschaft für Glasfaser-Netze gefordert. Seitdem liegen die Ideen allerdings brach. Verfolgen Sie die Vision noch oder wurde die Kooperation mit Ihrer Konkurrenz schon aufgegeben?

Grewe: Wir haben seinerzeit verschiedene Gespräche geführt. Die Reaktionen aus Politik und Wirtschaft waren unterschiedlich. Entscheidend ist für uns nach wie vor: Kooperationsmodelle sind eine Chance, den Kraftakt des Glasfaser-Ausbaus schnellstmöglich gemeinsam zu meistern. Beispiele dafür gibt es bereits, etwa eine Handelsplattform für Vorleistungsprodukte, um Haushalte mit schnellem Internet zu versorgen. Die Regulierung kann durch investitionsfreundliche Rahmenbedingungen den Glasfaserausbau in Deutschland beschleunigen. Uns muss allen klar sein, dass Deutschland bei der Digitalisierung nicht den Anschluss verlieren darf.

TechnikSurfer: 5G steht bevor: „Telefónica Deutschland treibt den Ausbau seiner digitalen Services kontinuierlich voran, um ein führender Anbieter in den Bereichen 5G […] zu werden“, so Cayetano Carbajo Martin, Chief Technology Officer von Telefónica Deutschland. Abgesehen vom Ausbau der IT-Infrastruktur hat Telefónica bislang keine Feldtests durchgeführt, wie beispielsweise Telekom und Vodafone. Wie bereiten Sie sich noch auf 5G vor?

Grewe: Die kommerzielle Einführung von 5G wird nicht vor 2020 stattfinden, die technologischen Standards sind noch nicht einmal definiert und es ist aktuell unklar, welche konkreten Anwendungen durch 5G möglich sein werden. Wir sehen aber in 5G eine große Chance insbesondere für die Industrie 4.0 und beteiligen uns deshalb aktiv an der Entwicklung in Europa und in Deutschland. Um bereits heute Anwendungen für das künftige 5G-Netz testen zu können, realisieren Telefónica Deutschland und Huawei zum Beispiel im gemeinsamen TechCity-Projekt ein 4,5G-Hochgeschwindigkeits-Mobilfunknetz, das unter Laborbedingungen bereits Datenraten bis zu 1,65 GBit/s erzielt.

Für Feldtests haben die beiden Unternehmen ein 4,5G-Pilotnetz in München errichtet. Und im A9-Projekt beteiligt sich Telefónica Deutschland am 5G-Einsatz für selbstfahrende Fahrzeuge. Weitere 5G-Projekte befinden sich in der Planung. Zudem profitiert Telefónica Deutschland von den Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Telefónica-Konzern. So beteiligt sich Telefónica S.A. bei der Definition des künftigen 5G­Technologiestandards in internationalen Initiativen wie NGMN (Next Generation Mobile Network), METIS2020 (ein Forschungs­ und Entwicklungsprogramm der Europäischen Union) und der 5GPPP­Initiative.

TechnikSurferThomas Jarzombek (CDU) möchte Deutschland als Vorreiter des LTE-Nachfolgers sehen. Meinen Sie, das kann gelingen – und wenn ja wie?

Grewe: Wir sind davon überzeugt: 5G erfordert eine gesamtgesellschaftliche Gemeinschaftsanstrengung, die Netzbetreiber, Industrie und die öffentliche Hand zusammen angehen müssen. Wir sehen hier viel Potential in neuen Kooperationsmodellen.

TechnikSurfer: Obwohl es bis 5G noch eine Weile hin ist, stellt sich die brisante Frage, wer zuerst bevorzugt wird: Stadt oder Land, Autobahn oder Bahngleis. Vor allem bei der LTE-Abdeckung gibt es noch große Flecken – wird es dasselbe Problem auch beim 5G-Ausbau geben?

Grewe: Wie bereits erwähnt, ist noch unklar, welche konkreten 5G Anwendungen in der Praxis für den Kunden relevant sein werden. Die industriellen Einsatzszenarien für 5G unterscheiden sich teilweise massiv voneinander, einige benötigen auch gar keine flächendeckende Versorgung, etwa bei Smart Factories. Es ist daher heute noch zu früh, über mögliche Ausbaupläne mit Blick auf Region, Zeitrahmen oder Kosten konkrete Aussagen zu treffen.

TechnikSurfer: Die Telekom war lange Zeit die unangefochtene Nummer eins der deutschen Provider was Netzabdeckung und Performance betrifft. Glauben Sie, die Deutsche Telekom befindet sich derzeit in einer Zeitenwende und tritt die Rolle als Pionier ab?

Grewe: Über unsere Wettbewerber spekulieren wir nicht.

TechnikSurfer: Was muss Ihrer Meinung nach höher gewichtet werden: Attraktive Angebote mit günstigeren Tarifen oder das qualitativ hochwertigste Netz?

Grewe: Die Kundenbedürfnisse müssen im Mittelpunkt stehen. Wie zufrieden die Nutzer mit den angebotenen Services sind, ist der Maßstab, an dem wir uns orientieren. Technik zum Selbstzweck dient niemandem. Aber die Technik muss so gut und zukunftsorientiert sein, dass sie die Anforderungen der Kunden erfüllt und Innovationen gesamtgesellschaftlich möglich macht, sowohl für die Bürger als auch für die Industrie. Telefónica Deutschland baut daher bedarfsgerecht aus – ob bei 4G, 4,5G oder 5G.

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Schutz der Kunden hat Priorität

TechnikSurfer: Beziehen Sie Stellung zum Thema Vorratsdatenspeicherung und der Aussetzung durch die Bundesnetzagentur.

Grewe: Unternehmen und Verbraucher brauchen mit Blick auf den Datenschutz einen klaren Rechtsrahmen. Daher begrüßen wir die Entscheidung der BNetzA, die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung vorerst nicht durchzusetzen. Zum einen sind aktuell mehrere Gerichtsverfahren anhängig. Zum anderen ist immer noch unklar, inwiefern die nationalen Regelungen von dem Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung von Dezember 2016 betroffen sind. Dies muss der deutsche Gesetzgeber klären.

TechnikSurfer: Wäre es nicht zur Aussetzung gekommen, beziehungsweise sollte die Vorratsdatenspeicherung doch wieder aktiv werden: Sind Sie technisch bereit, die Daten seiner Kunden wochenlang „datenschutzkonform“ zu speichern?

Grewe: Es bleibt abzuwarten, ob die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung zu rechtlichen Anpassungen führt, die sich dann wiederum auf die bisherigen technischen Anforderungen auswirken. Natürlich werden wir uns an die dann geltenden Vorgaben halten – der Schutz der Kundendaten hat für uns dabei Priorität.

TechnikSurfer: Haben Sie besten Dank für das Gespräch.

Weitere Netzfragen-Interviews

• Interview mit der Telekom: Telekom will nicht am Billigsten sein
• Interview mit dem Bitkom: Bitkom fürchtet schleppende Glasfaser-Versorgung

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